Kleine Zeitung - 16.09.2012

Das Streubombenprinzip



Die Zeiten, in denen der steirische herbst am Getöse seiner (meist angeblichen) Skandale gemessen wurde, sind lange vorbei. Gott sei Dank. Und auch von der Idee einer schieren Kunstmesse hat sich das Festival schon vor vielen Jahren emanzipiert.

Es war der erste Allein-Intendant Peter Vujica, der in seiner letzten Saison neue Maßstäbe setzte: In weiser Voraussicht bat er Peter Weibel, ein Projekt über virtuelle Welten zu kuratieren. Das war 1989. Und allein die Darbietungen des Fraktal-Forschers Heinz-Otto Peitgen haben bis heute mein Weltbild verändert. Seither hat noch jede herbst-Direktion Wissenschaft in der einen oder anderen Form eingebunden.

Der amtierenden Intendantin Veronica Kaup-Hasler gelang es, auch das Publikum in einer Art einzubinden, die vorher kaum denkbar war. Hannah Hurtzigs ≥Schwarzmarkt„ 2007 zählte für mich zum Besten, was man sich unter soziokulturellen Wissenstransfer vorstellen kann. Und mit dem ≥Casino Of Tricks„ bewies sie, dass dieser Wissenstransfer auch mit Augenzwinkern über die Bühne gehen kann.

Kaup-Hasler hat dafür die Tradition der zentralen Großaufführungen definitiv verlassen. Angesicht des herbst-Budgets gerieten diese ohnedies zusehends unter das Motto: Die Maus, die brüllte. Stattdessen entwickelte sie ein Programm, das nach dem Streubombenprinzip funktioniert: zahlreiche kleine, meist feine Projekte für ein breit gefächertes Interesse.

Das radikalste Modell wird heuer mit dem einwöchigen ≥marathon camp: the truth is concrete„ realisiert: Fast 200 Künstler, Politiker referieren, inszenieren, debattieren, informieren eine Woche lang im herbst-Zentrum in der Thalia. Die New Yorker ≥Church of Stop Shopping„ und Mitglieder der ukrainischen Femen sind ebenso dabei wie der legendäre Reformbürgermeister Bogotás, der einst Pantomimen zur Regelung des Verkehrschaos einsetzte. Der Graz-Chor des Ägypters Salam Yousry tritt auf, das Theater im Bahnhof führt im Morgengrauen durch die Stadt (mehr darüber unter www.steirischerherbst.at).

Auf diese Art hat der steirische herbst wieder ein Stück jener Einzigartigkeit gewonnen, die er in seiner Frühzeit hatte.



FRIDO HÜTTER
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