Der Standard - 12.09.2012

Steirischer Herbst: Marathon-Campen am Puls der Zeit

Festival erörtert Beziehung von Kunst und Politik



Graz - Zwischen hämmernden Arbeitern, unter bedrohlich vibrierenden Decken und schwankenden Lustern stellte Veronica Kaup-Hasler am Dienstag in der Thalia, wo heuer das Festivalzentrum einziehen wird, das Programm des Steirischen Herbstesvor. Dieses ist in vielerlei Hinsicht anders als in den Jahren zuvor. Die Thalia wird der derzeit temporär zu einem 24-Stunden-Marathon-Camp umfunktioniert.

Das Architektenkollektiv Raumbüroberlin macht den Hauptraum des ehemaligen Tanzcafés in ersten Stock über eine Treppe direkt begehbar. Dort, in den umliegenden Räumen und in der benachbarten Galerie Zimmermann Kratochwill werden ab 21. September mehr als 200 Künstler, Aktivisten und Theoretiker und 100 Stipendiaten aus aller Welt eine Woche lang vortragen, spielen, diskutieren, wohnen und über die Zukunft der krisengeschüttelten Welt diskutieren. Titel des Camps, das auch eine Verbeugung an die Occupy-Bewegung ist: ≥Truth is concrete.„ (Die Wahrheit ist konkret, ein Hegel-Zitat)

Die 24-Stunden sind ernst gemeint. Wer das in seiner Fülle eigentlich nicht konsumierbare Programm halbwegs erfassen will, kann über Nacht bleiben. Das Camp ist Tag und Nacht frei zugänglich. Über 100 Betten stehen zur Verfügung. Einen Eröffnungsabend mit Politikerreden und Sekt wird es nicht geben.

Unter den Aktivisten sind einige, die jüngst größere Bekanntheit erlangten, wie die ukrainische Feministinnen-Gruppe Femen, die als Gast des Theaters im Bahnhof einen frühen Termin um fünf Uhr morgens bestreitet. Dass man unter Gefahr und am Puls der Zeit arbeitende Künstler eingeladen hat, zeigen nicht planbare Umstände: Nicht inhaftierte Mitglieder der russischen Band Pussy Riot sollen kommen - ob sie ausreisen können, ist aber noch unklar. Die Künstlergruppe Voina aus Russland wird erwartet. Der politische Cartoonist Aseem Trivedi aus Indien wurde erst vor wenigen Tagen verhaftet. Auch seine Teilnahme ist nun unsicher. (cms)

Bild: Die Aktionistinnen von Femen kommen nach Graz. Foto: Reuters


Colette M. Schmidt
wukonig.com