Der Standard - 28.09.2012

"Utopien, an denen man andocken kann"



≥Adaptation„, Anpassung, titelt die Ausstellung zum Steirischen Herbst: Anne Katrin Feßler tauschte sich mit den beiden Kuratoren Zbyn?k Baladrán und Vit Havránek im E-Mail-Interview über Anarchie im Format Ausstellung und Work in Progress aus.

Standard: Teil des ≥Adaptation„-Konzepts ist es, Arbeiten in einem Work in Progress zu entwickeln. Wo steht man nun innerhalb dieses Prozesses, und welche Themen kristallisierten sich dabei heraus?

Baladrán/Havránek: Wir sind keine Fans sogenannter Themenausstellungen, die mithilfe der Kunstwerke intellektuell definierte Themen oder Narrative untersuchen. Wir befürchten nicht nur, dass Kunst zur Illustration kuratorischer Ideen missbraucht wird, sondern glauben auch, dass es die aktuelle Hauptherausforderug für Räume, die Kunst präsentieren, ist, wieder Orte des Experiments zu werden - Orte, die Theorie und Praxis verbinden. Die Kunstinstitutionen kritisieren den Post-Fordismus (Wirtschaftsform, die besonders ihr Maß an Flexibilität charakterisiert, Anm.), wenden diesen aber auf die eigene Dramaturgie an, indem sie Künstler wählen, die Markt oder Moden entsprechen.

Standard: Was soll ≥Adaptation„ stattdessen leisten?

Baladrán/Havránek: Was wir mit Adaptationanregen wollten (wir entschlossen uns später dazu, den Titel durchzustreichen), war, eine temporäre, anarchistische Koexistenz von Künstlern aus verschiedenen kulturellen und geopolitischen Kontexten zu ermöglichen, die in ihren eigenen kleinen Environments völlig frei agieren können, sodass fragmentierte Geschichten oder Utopien, an denen man andocken kann, entstehen. Ich würde sogar sagen, die Ausstellung hat kein vorrangiges Thema, denn das könnte man autoritär verstehen. Wir als Kuratoren haben Künstler eingeladen und dann eine anarchistische Methodik - ohne Gesetze, ohne Anführer - angeboten. Wie alle Beteiligten brachten wir Vorschläge, Texte und Sichtweisen in den Prozess ein. So wie Michail Alexandrowitsch Bakunin (russischer Revolutionär, Anm.) sagte: ≥Jeder führt und wird geführt. Demzufolge gibt es keine fixierten und konstanten Autoritäten, sondern steten Austausch zwischen zeitweiliger, und insbesondere freiwilliger Autorität und Unterordnung.„

Standard: Was macht diese völlig offenen und freien Prozesse für Ausstellungsbesucher spannend?

Baladrán/Havránek: Bei Xu-Tan, Babi Badalov oder Ond?ej Buddeus kann der Besucher sehen, dass das ≥Material„ ihrer Arbeiten auf Biografien basiert oder auf Bildern, die man am Ausstellungsort findet, also auf gewöhnlichen, nichtexklusiven Dingen, zu denen jeder Zugang hat. Darüber hinaus finden die künstlerischen Prozesse wie Analyse, Synthese, Herstellung, Umschreiben oder Adaptieren vor Ort und während der Ausstellung statt. Es materialisiert sich ein arbeitender künstlerischer Körper. Wir denken, diese Geste physischer und mentaler Präsenz im Galerieraum stellt eine wichtige Verbindung zwischen Künstler und Besucher her.

Standard: Der erweiterte Titel ≥Wozu würden Sie leben, wenn Sie wüssten, was morgen passieren würde?„, scheint nach ideellen Motiven zu fragen. Wie zeigt sich das?

Baladrán/Havránek: Dieser Satz fiel während unseren Diskussionen von einem der Künstler. Er steht dafür, diese bipolare Haltung von Unterdrückung und Widerstand aufzugeben. Wir glauben zu sehr an intellektuelle, ökonomische und andere solide Werkzeuge, um Gegenwart und Zukunft unter Kontrolle zu halten. Aber dieses Gefühl der Kontrolle scheitert an der Komplexität der Welt und sorgt für allgegenwärtige Frustration. Daher wollten wir die Dinge um eine nichtlineare, fragmentiertere Vorstellung erweitern.

Bild: Im Sommer starb Dokumentarfilmer Chris Marker. Als die Künstler der Ausstellung ≥Adaptation„ lasen, dass Marker auch Touristenführer verfasst hat, beschlossen sie, diese als Hommage zu zeigen. Foto: Feßler

Bild: ... mit Zbyn?k Baladrán die Schau.

Bild: F.: Steirischer Herbst

Bild: Vit Havránek kuratierte gemeinsam ...

Bild: F.: Steirischer Herbst


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