Falter - 26.09.2012

"Unsere Brüste sind unsere Bomben"

Die Aktivistinnen Femen über Religion, Feminismus und warum sie auch für den Playboy posieren würden



Zwei zierliche blonde Frauen in engen Jeans springen auf die Bühne. "Come and listen to us, we are showing breasts„, ruft Inna Shevchenko. Ein Video zeigt die ukrainischen Feministinnen in Aktion: immer barbusig, Plakate hochhaltend oder mit Botschaften wie "Die Ukraine ist kein Bordell!„ auf den Leib geschrieben; oft werden sie von Polizisten brutal weggeschleift. Weltweit bekannt wurden die Femen seit ihren Protesten vor und während der Fußball-EM in Polen und der Ukraine, wo sie gegen Sextourismus schrieen. Sie tauchten aber genauso beim Weltwirtschaftsforum auf und vor dem Haus von Dominique Strauss-Kahn, "Schande über dich„ brüllend.

Im "Marathoncamp„ des steirischen herbst erklären sie ihren "Sextremismus„. Klassischer Feminismus funktioniere nicht mehr, den gebe es nur in Büchern und Konferenzräumen. Man müsse provozieren. Männer seien es gewohnt, dass Busen dort sind, wo sie sie hinbeordern: in ihrem Bett, auf Plakaten, erklärt Sascha Shevchenko (nicht mit Inna verwandt). Wenn aber im öffentlichen Raum plötzlich ein nackter Körper direkt auf sie zukomme, seien sie verstört. Zur Demonstration zieht Inna ihr Shirt aus und setzt sich rittlings auf einen Mann, presst ihn an sich. "Our boobs are our bombs„, sagt sie triumphierend.

Kürzlich sägte Inna aus Protest gegen das Pussy-Riot-Urteil ein christliches Kreuz um und floh dann aufgrund massiver Drohungen nach Paris. Das Kreuz habe an die Opfer des Stalinismus erinnert, wurde berichtet. In Graz bestreitet sie das: Das Kreuz für die Regimegegner sei ganz woanders.

Falter: Wie ist es dazu gekommen, dass ihr euch öffentlich auszieht?

Inna Shevchenko: Ich hatte mir das lange gar nicht vorstellen können. Sascha hat es schon ein Jahr vor mir getan. Ich hatte einfach nicht den Mut, gesagt habe ich aber, es sei aus diesen und jenen Gründen schlecht.

Sascha Shevchenko: Wir hatten einen Riesenstreit deswegen!

Inna: Zwei Jahre lang haben wir angezogen protestiert und kaum mediale Resonanz bekommen. Als dann aber die Gruppe zum ersten Mal ihre T-Shirts auszog, hatten wir am nächsten Tag Berichte darüber in allen möglichen Sprachen. Da haben wir verstanden: Es ist der einzige Weg für Frauen, sich Aufmerksamkeit zu holen.

Aber das ist sexistisch und traurig.

Sascha: Aber es ist die Realität!

Inna: Wir machen ein Spiel daraus: Schaut, ich bin so, wie ihr Männer das mögt: nackt! Aber in der nächsten Sekunde verstehen sie, dass diese Nacktheit gegen sie ist.

Sascha: Der Mann hat dieses Outfit kreiert (zeigt auf sich selbst), diese High Heels, die langen, blonden Haare, das Make-up. Wenn er dann sieht, dass diese seine Kreation gegen ihn ist, ist er schockiert.

Inna: Es gibt aber keine Regel, wonach unsere Aktivistinnen so auszusehen hätten. Unser Outfit entspricht eben der ukrainischen Kultur. Manche unserer Aktivistinnen sehen ganz anders aus. Wir haben auch eine Frau mit 120 Kilo.

Und eine 60-Jährige ...

Inna: Sie ist 64.

∑ die die Medien aber fast nie zeigen. Die meisten von euch sind sehr jung. Was macht ihr, wenn ihr älter seid und die Medien nicht mehr reagieren?

Inna: Das können wir heute nicht sagen. Brauchen die Medien etwas Neues, lassen wir uns etwas einfallen.

Eure Taktik ist sehr umstritten. Manche sagen, ihr würdet Sexismus bedienen, andere, ihr würdet den Feind mit den eigenen Waffen angreifen. Das meint auch Alice Schwarzer, auch sie sieht aber die Gefahr, dass ihr instrumentalisiert werdet, etwa wenn ihr fast nackt für die Elle posiert.

Sascha: Wir wollen in allen Medien vorkommen, auch in Lifestyle-Magazinen. Wenn sich dadurch junge Mädchen, die noch nie von Feminismus gehört haben, dafür zu interessieren beginnen - gut! Vielleicht sieht jemand unsere Fotos im Playboy und unterstützt uns dann.

Ihr würdet für den Playboy posieren?

Sascha: Warum nicht?

Inna: Wenn auf den Playboy-Covers nackte Frauen zu sehen sind, die protestieren, wäre das ein großer Erfolg. Es würde bedeuten, dass Männer Frauen akzeptieren, die kämpfen.

Aber schafft ihr es wirklich immer, eine Botschaft zu transportieren? Als ihr heuer auf Einladung der Grünen in Wien wart und vorführtet, wie man einen "boobs-print„ ("Busenabdruck„, mit dessen Verkauf finanzieren sich Femen unter anderem, Anm.) macht, erschienen in Boulevardzeitungen Fotos davon, aber über euer Thema, die Ausbeutung von Ukrainerinnen, war kaum etwas zu lesen.

Inna: Und warum? Weil wir in einem Konferenzraum geredet haben. Eben das funktioniert nicht. Deshalb gehen wir auf die Straße. Wenn die Botschaft auf unseren Körper geschrieben ist, transportieren die Medien sie auch.

Was habt ihr mit euren Aktionen bisher bewirkt?

Inna: An jedem unserer Proteste beteiligen sich weitere Mädchen. Und keine, die sich einmal ihr T-Shirt ausgezogen hat, um zu protestieren, wird je ins Sexgeschäft gehen. In der Ukraine landet man dort dermaßen leicht, es ist überall. Polizei und Regierung unterstützen es. Und die Frauen werden hier nur ausgebeutet.

Wie reagieren eure Landsleute?

Sascha: In der Ukraine haben wir überhaupt keinen Feminismus. Ältere Frauen sind nicht daran interessiert, junge Mädchen kommen aber mittlerweile von selbst zu uns. Die Generation unserer Großeltern mag uns: Sie erinnert sich an den Zweiten Weltkrieg, ist sehr arm und versteht, dass wir für unsere Rechte kämpfen müssen.

Der ukrainische Ministerpräsident erklärte, Politik sei nichts für Frauen. Gibt es Politikerinnen, die mit euch sympathisieren?

Inna: Wir haben keine Politikerinnen außer Julia Timoschenko, und der einzige Unterschied zwischen ihr und dem Präsidenten ist ihr Geschlecht.

Sascha: Wir haben überhaupt keine Politiker. Wir haben nur Banditen, Oligarchen, die Mafia. Das ist alles.

In Istanbul habt ihr gegen familiäre Gewalt protestiert, erstmals in einem muslimischen Land. Wie waren die Reaktionen?

Sascha: Wir wurden eingesperrt, hinterher wurde unser Protest aber für legal erklärt. Eine Stunde nach unserem Protest haben sich viele Männer mit Transparenten versammelt, auf denen sinngemäß stand: "Dumme ukrainische Frauen kommen in unser Land, um unser Leben und unsere Frauen zu zerstören.„ Ihnen gegenüber stand ein Grüppchen von Frauen, deren Transparente sagten: "Wir unterstützen Femen, wir wollen dasselbe auch tun.„

Inna: Die Türkei hat gezeigt, wie sich ein Land ändern kann. Gut, wir wurden eingesperrt, aber nicht entführt oder vergewaltigt. Unser Protest ist auch ein Test für die Demokratie.

Bei euren Protesten in Paris, wo ihr dieser Tage ein Büro eröffnet habt, konnte man auf euren Oberkörpern lesen: "Muslim women let‚s get naked„ und auch "laicité - liberté„.

Inna: Das hatten sich arabische Frauen aufgemalt, es war für ihre Schwestern.

Ist das für Musliminnen die richtige Botschaft? Die meisten wollen gleiche Rechte, aber bei der Religion bleiben.

Inna: Wir sind eine antireligiöse Bewegung. Man kann nicht gleichzeitig frei und religiös sein, weil Religion eine kolonialistische Ideologie ist. Ständig kämpfen ihre Anhänger gegeneinander. Sie verschleiern, dass es dabei um Politik geht, indem sie sagen, sie hätten eine Verbindung zu jemandem ganz oben.

Was sagt ihr einer Frau mit Kopftuch?

Inna: Ich glaube nicht, dass es Frauen gibt, die frei werden und ihre Burka abnehmen, aber religiös bleiben wollen. Und jede Religion ist gegen Frauen, sei es die muslimische oder die christliche.

Was war das Schlimmste, das euch bisher bei euren Aktionen passiert ist?

Inna: Für mich war das, als zwei Frauen und ich in Minsk aufgegriffen und 24 Stunden gefangen gehalten wurden (nach Protest gegen den weißrussischen Präsidenten Lukaschenko, Anm.). Zuerst wurden wir stundenlang befragt, dann in einen Wald gebracht. Man schnitt uns die Haare ab, befahl uns, uns komplett auszuziehen. Dabei haben die Männer mitgefilmt und kommentiert, etwa: "Schaut euch die Huren an.„ Am Ende haben sie uns einfach in den Wald hinausgeworfen.

Haben Sie da ans Aufhören gedacht?

Inna: Ich war sicher, ich würde umgebracht. Es war das Schlimmste, was mir je passiert ist, und gleichzeitig das Beste: Ich habe mich selbst hundertprozentig geprüft. Und hundertprozentig habe ich keinen Zweifel an meiner Arbeit. F

Bild: Inna und Sascha Shevchenko: Ausgezogen, um Feminismus populär zu machen

Bild: In Graz demonstrierten die Femen, wie Nacktattacken funktionieren



Gerlinde Pölsler
wukonig.com