Falter - 19.09.2012

Kunst kommt zur Sache



Das Festival steirischer herbst deutet heuer Kunst politisch. Und zwar ganz konkret

Der "herbst„ wird zum Grenzgänger. Unter dem Brecht-Motto "Die Wahrheit ist konkret„ lotet das Festival 2012 die politische Potenz von Kunst aus. Und damit auch ihre Relevanz angesichts arabischer Revolutionen und Konterrevolutionen, kollabierender Staatshaushalte und Existenz- oder Sinnkrisen in Kunst und Kultur. Während der ersten sieben Tage geht das Marathon-Camp "Truth is concrete„ der Frage nach, was Kunst kann: 150 Künstler und Aktivisten bringen 170 Stunden permanentes Programm, bei dem die Grenzen zwischen künstlerischen und politischen Strategien und Aktivismen verschwimmen (mehr dazu auf S. ?).

Gewohnt ungewöhnlich, aber ungewohnt politisch präsentiert sich auch das Programm der folgenden Wochen: Public Movement aus Israel zeigt mit "Rebranding European Muslims„ Kunst als PR-Projekt, und die koreanisch-amerikanische Regisseurin Young Jean Lee stellt in ihrer "Untitled Feminist Show„ kulturelle Identitäten infrage. Rabih Mroué und Lina Saneh aus dem Libanon rekonstruieren in "33 Rounds and Few Seconds„ die letzten Momente eines libanesischen Selbstmörders, während Teatr.doc, ein Moskauer Hinterhoftheater mit Dokuschwerpunkt, einen russischen Justizskandal von hinten aufrollt: "1 Hour 18 Minutes„ - genauso lang dauerte der Tod des Untersuchungshäftlings Sergey Magnitskiy. Subtiler funktionieren Doris Uhlichs Tanzperformance mit vom Ballettbetrieb ausgemusterten Körpern alter Tänzer ("Come Back„) oder Heiner Goebbels‚ Arbeit "When the Mountain Changed Its Clothing„ mit 40 Sängerinnen zwischen zehn und 20 Jahren - ein Musiktheaterparcours von Eichendorff-Texten zu Partisanengesängen.

Auch heuer fungiert das Musikprotokoll als ein eigenständig konzipierter Programmkörper im Festival: mit Klanginstallationen und Konzerten (featuring Arditti Quartet, Kangforum Wien, Ensemble Zeitfluss u.a.). Die bildende Kunst startet mit den von Zbyn?k Baladrán und Vit Havránek aus Prag kuratierten Ausstellungsräumen im Camp. Am 29. September werden dann in zahlreichen Häusern herbst-Programme eröffnet: Das Kunsthaus Graz dringt bei "Teilen und verändern„ bis in den realen Stadtraum vor, der Kunstverein Medienturm zeigt in "Realness Respect„ aktuelle performative Entwürfe, <rotor> formuliert mit "Absolute Demokratie„ eine Vision, und der Grazer Kunstverein präsentiert Fallstudien zu "Intoleranz/Normalität„. Weitere Ausstellungen gibt es von Camera Austria, Kulturzentrum bei den Minoriten, ESC im Labor, Akademie Graz, Forum Stadtpark oder dem Pavelhaus.

Hermann Götz

Graz, 21.9.-14.10., www.steirischerherbst.at

Bild: "1 Hour 18 Minutes„ - genauso lang dauerte der Tod des Häftlings Sergey Magnitskiy


Hermann Götz
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