Kronen Zeitung - 26.09.2012

Wenn der Leser zum Autor wird



Sie besteht aus nur wenigen Büchern. Trotzdem haben diese eine immense Bedeutung, denn die Werke für die library im Camp des "steirischen herbst" haben Leser ausgesucht und mit persönlichen Notizen versehen. Und nicht nur das: Alle Bücher sind Kopien und stellen damit die Frage nach dem Copyright neu.

Kopierte, mit Notizen versehene Bücher in der "herbst"-library

Alles begann in einer kleinen Universität, die aus Geldmangel ihre Bibliothek schließen musste. Damit waren die Studierenden keineswegs einverstanden und eröffneten eine eigene, die sie mit selbst kopierten Büchern füllten.

Heute umfasst "The Piracy Project" von Andrea Francke und Eva Weinmayr an die 140 gefälschte Werke. Für den "steirischen herbst" erweitern sie ihre Sammlung und lassen dabei die Rollen von Leser und Autor verschmelzen: Ihre library besteht aus Büchern, die alle am "herbst" teilnehmenden Künstler mit Impressionen beim Lesen bestückt haben - von Randnotizen über ganze Bildserien. "Kultur und vor allem Bücher konsumieren wir nicht nur. Wir erleben sie", sagt Francke.

So thront zwischen einem Buch über Gartenarbeit und einem E-Mail die russische Verfassung, über deren kyrillische Schrift eine Künstlerin Fotos von politischen Gewaltakten geklebt hat. "Die Frage ist: Wem gehört eine Geschichte eigentlich? Denn sobald ich ein Buch lese, entstehen in meinem Kopf Bilder, ich begegne den Charakteren und fühle mit ihnen", beschreibt Weinmayr den Diskurs, den die beiden Künstlerinnen anregen. Damit ist die library zu einem Ruhepol im sonst hektischen "herbst" geworden, wo gleichzeitig ein Austausch über Copyright und den Ursprung von Ideen stattfindet. "In vielen Geschichten steckt kreatives Potenzial: Erst im Experimentieren und Erweitern entsteht Neues, noch nie Dagewesenes." Potenzial hat vor allem "The Piracy Project": Ohne die Absicht, Piraterie zu legalisieren, gibt es den Anstoß, das eigene Leseverhalten zu überdenken - nicht nur für Bibliophile.


Sonja Radkohl
wukonig.com