Der Standard - 14.09.2012

Künstler, die wissen, was zu tun ist



In kaum einem anderen Land wird derzeit die Kunstszene so stark mit Widerstand gegen das System verbunden wie in Russland. Das Auflehnen mit Mitteln der Kunst hat hier schon lange Tradition. Auch im Camp wird man sich den mutigen Russen widmen.

Während noch am Ende der Perestroika und in den ersten zehn Jahren nach dem Ende der Sowjetunion die russische Künstler mitunter gewagte Aktionen machen konnten, machte sich in den letzten Jahren Resignation breit. Das gefestigte turbokapitalistische System begann offen Repression gegen kritische Künstler.

Im letzten Jahr änderte sich das. Nicht erst nach der Verurteilung dreier Frauen der Punkband Pussy Riot, die weltweit für Empörung sorgt. Auch wenn wahrscheinlich noch nie eine Kunstaktion derart hohe mediale und wohl auch politische Wellen schlug, marschierten schon davor tausende Russen durch die Straßen Moskaus - vereint im Protest gegen Putins Regime.

Maßgeblich beteiligt am Widerstand sind in Russland traditionell viele Künstler. Mindestens zwei Generationen von aufmüpfigen Kunstschaffenden sind im Camp imSteirischen Herbst zu Gast: Junge Aktivistinnen wie Alexandra Galkina, deren Zeichnungen in der Formsprache an Russlands 1920er-Jahre erinnern und die in mehreren autonomen Kollektiven in Moskau aktiv ist, oder schon etabliertere, wie die seit Jahren in Wien lebende Anna Jermolaewa. Sie zeigt am 27. 9. kurz nach 0.00 Uhr ihren Film Methoden des sozialen Widerstands am Beispiel Russlands.

Anschließend, um 1.45, diskutieren die beiden Frauen mit Vertretern der schon jetzt legendären Gruppe Voina, die auch personelle Überschneidungen zu Pussy Riot hat. Voina schuf mit ihren Aktionen im öffentlichen Raum starke Bilder, die sich ins jüngere kollektive Gedächtnis einbrannten. So etwa der rasch auf eine Brücke gemalte Phallus, der sich just gegenüber dem Sitz des KGB erhob, ohne das die Behörden noch dagegen einschreiten konnten. Für solche Statements riskieren die Voina-Aktivisten Verfolgung und manchmal auch Haft.

≥Chto Delat„-Plattform

Judith Schwentner, gelernte Slawistin, die selbst kuratorisch tätig war, ehe sie vor wenigen Jahren als Quereinsteigerin für die Grünen ins Parlament zog, moderiert das Gespräch mit dem Titel What is to be done (Was ist zu tun?) über die aktuelle Situation in Russland.

Was tun? (russisch: Chto Delat) hieß auch ein Mitte des 19. Jahrhunderts erschienenes Buch des russischen Philosophen Nikolay Chernyshevsky und später eine Kampfschrift Lenins. Heute heißt eine hoch aktive Plattform Chto Delat, die der Autor, Künstler und Aktivist Dimitry Vilensky gründete. Er und sein Kollege Nikolay Oleynikov werden ebenso Teil des prominenten Podiums sein. (cms)

Bild: Videostill der

Bild: legendären Voina-Aktion ≥Dick captured by KGB„ vom 14. Juni 2010. Die Botschaft, die man mit dem heimlich auf eine Brücke in St. Petersburg gepinselten Phallus dem gegenüberliegenden KGB-Gebäude sandte, ist klar.

Bild: Foto: Voina group



COLETTE M. SCHMIDT
wukonig.com