Die Presse am Sonntag - 26.09.2012

Im >Steirischen Herbst< wächst der Widerstand

Mit einem Marathon-Camp wurde am Freitag das multimediale Festival eröffnet. Die stillen Stars: Pflanzen.



Der Opernring in Graz ist an sich eine laute Gegend. Durchzugsverkehr. Wie ein Turm ragt derzeit aber vor dem einstigen Tanzlokal Thalia, wo sich jetzt das Festivalzentrum des "Steirischen Herbstes" befindet, ein fragil wirkendes Gebilde aus Fensterrahmen und Türen auf. Es ist der "Garten des biologischen Ungehorsams", den die wilden Architekten des "raumlaborberlin" errichtet haben, so wie weitere kleine Bauten für das "Camp 24/7".

Die US-Künstlerin Katherine Ball kultiviert dort den Widerstand der Pflanzen. Sie pflegt Pilze, Gräser, Insekten, die besonders resistent sind. Ihr Champion, der größte Kämpfer, wie sie der "Presse" sagt, ist der Weiße Gänsefuß: "Gegen Amaranth kommt nicht einmal Roundup an, das stärkste Breitband-Pflanzengift." Ball kümmert sich liebevoll um Leben, das Asphalt aufbricht, um Neophyten auch, die große Sprengkraft haben. In ihr verwegenes Labor dürfen jeweils nur fünf Besucher - mehr wären eine Überlastung.

Black Cube. Am Freitag drängte sich aber ohnehin alles im Black Cube im Jugendtheater Next Liberty, wo Intendantin Veronica Kaup-Hasler das Festival formlos einleitete, dezidiert nicht eröffnete: Das Camp sei ja bereits offen. Unter dem Motto "Truth is Concrete" wurde längst Widerstand geübt, und das Masala Brass Kollektiv tobte sich auf dem Vorplatz aus. Eine Woche wird nonstop im Schwarzen Würfel Kunst erzeugt, die vor allem aus Vorträgen und Diskurs besteht. Es geht um Kritik: an Macht, Kapitalismus. Es geht um Veränderung, Katastrophen. Es geht ums Ganze, ums Kollektiv. Den Anfang machte ein Projekt des Briten Tim Etchells. Er ließ seinen Kollegen Jerry Killick von Forced Entertainment das Publikum bei "some kind of beginning" mit einer lockeren Übung beschäftigen. Jeder Zuseher durfte in einem strengen Zeitfenster Namen und Orte hinausrufen. Das Experiment endete mit einem Zählspiel. Wer still seine Zahl zwischen 1 und 120 erreicht hatte, rief "now". Zwei Minuten polyglotte Akzente, alles aufgezeichnet; vielleicht ergibt sich daraus eine Landkarte des Herbstes, die auch lesbar ist.

Konventioneller waren die übrigen Beiträge des ersten Tages: Referate über Politik und Kunst, viel Lokalkolorit - ein Crash-Kurs über Österreichs Mächte für Ausländer, eine Betrachtung des einst revolutionären Graz. Greory Sholette aus New York sprach über "Interventionist Art in the Age of Enterprise Culture". Das anfangs spärliche Publikum war recht jung - immerhin wurden 100 Stipendiaten eingeladen. Im Thalia und der Umgebung wird locker kampiert, rund um Laila's Bar.

Adaptation. Gegenüber, am Opernring 7, ist inzwischen neben dem Diskursraum "White Box" auch schon die Ausstellung "Adaptation" zu sehen, die von den Prager Künstlern Vit Havranek und Zbynek Baladran ausgerichtet wird. Sie verstehen sich in ihrem "Labor für neue Paradigmen, Strukturen, Hierarchien" statt als Kuratoren vor allem als Einladende. Nicht nur Künstler wie Babi Badalov aus Aserbaidschan, der ein sprachkritischer Nomade sein will, oder die Israelin Ruti Sela, die Clips über Terror zeigt, sollen kollaborieren, sondern auch die Zuseher. Das Camp besitzt ein Digitalarchiv und eine Piraten-Bibliothek. Bei Xu Tan aus China darf man Schicksale texten, oder man kann genussvoll mit Loulou Cherinet aus Äthiopien ins Gespräch kommen. Der Ägypter Shady El Noshokaty ist leider nicht da. Er bringt jedoch per Video etwas Arabischen Frühling nach Graz: Bei "Stammer" wird man mit einer Klasse konfrontiert. Die meisten tragen Kopftücher. Und mit einem Mann, der über Ratten redet. Er blutet aus der Nase. @LU


Norbert Mayer
wukonig.com