Raiffeisenzeitung - 04.10.2012

Kunst kann Dinge vorantreiben



Die Schau "Cittadellarte. Teilen und verändern„, die dieser Tage im Rahmen des Steirischen Herbstes im Kunsthaus Graz eröffnet wurde, zeigt Beispiele eines Kunstschaffens, das von sozialem Gewissen getragen wird und das sich ? dem Wunsch nach einem nachhaltigen Weltmodell folgend ? selbst in den Dienst einer aktiven Umgestaltung stellt. Das Ausstellungsprojekt basiert auf den Ideen des Künstlers Michelangelo Pistoletto, der 1998 in seiner Heimatstadt Biella die Kunststadt "Cittadellarte„ gründete. Die Raiffeisenzeitung traf den Italiener zum Gespräch.

Herr Pistoletto, was ist die Idee hinter "Cittadellarte„?

Michelangelo Pistoletto: Cittadellarte ist ein Netzwerk, ein Laboratorium kreativer Energien, das Kunst mit allen Bereichen des menschlichen Handelns * mit der Kultur, dem Sozialen, der Wirtschaft oder der Politik * in Interaktion setzt. Die Aktivitäten von Cittadellarte verfolgen dabei ein grundlegendes Ziel: künstlerische Interventionen in jeden Bereich der Zivilgesellschaft zu tragen, um so einen Beitrag zu einem verantwortungsvollen Wandel der Gesellschaft zu leisten.

Eine wichtiges Konzept hinter "Cittadellarte„ ist das der "Partizipation„: Können Sie das näher erläutern?

Pistoletto: Jeder in Cittadellarte ist Teil des Ganzen, jeder kann an den Aktionen der anderen teilhaben. Der Begriff "Partizipation„ bezieht sich jedoch nicht nur auf die Kommunikation innerhalb des Netzwerks. Wir versuchen auch mit verschiedenen Institutionen, Gruppen oder Künstlern, die bereits an ähnlichen Konzepten arbeiten, in Kontakt zu treten. Uns geht es darum, eine Geografie der Transformation zu schaffen.

War das Prinzip der "Teilhabe„ bereits auch in Ihren früheren Arbeiten angelegt?

Pistoletto: Schon in meinen "Spiegelbildern„ wurde der Betrachter miteinbezogen, er wurde selbst zum Akteur. Bei den Minus-Objekten verzichtete ich bewusst auf eine eindeutig erkennbare künstlerische Handschrift. Das war, als ob ich mich selbst in verschiedene Personen geteilt hätte * sozusagen die Gruppenausstellung eines Einzelkünstlers. Ab diesem Zeitpunkt begann ich auch immer mehr mit anderen Künstler zu interagieren. 1967 habe ich schließlich mein Atelier für Dichter, Musiker, Filmemacher und Theaterleute geöffnet. Wir haben dann eine Gruppe namens "Zoo„ gegründet. Die Idee war, auf die Straße hinauszugehen und mit der Gesellschaft zu interagieren. Kunst ist kein Ghetto. Jeder sollte ein Akteur des Wandels sein.

Warum haben Sie später "Cittadellarte„ gegründet?

Pistoletto: In den 1960er Jahren verließen wir die Institutionen, später entschied ich mich jedoch, nicht mehr auszuweichen, sondern eine Institution, die unseren eigenen Vorstellungen entspricht, zu schaffen.

Kann Kunst tatsächlich dazu beitragen, eine bessere Gesellschaft zu schaffen?

Pistoletto: Die Rolle des Künstlers ist nicht nur ein individuelles Produkt zu schaffen, das schließlich in die Museumssammlungen verbannt wird. Kunst kann Dinge auch vorantreiben, sie kann auch außerhalb des Kunstbetriebes etwas bewegen. Auch Museen können mit ihren Bildungsprogrammen viel bewirken. Denken Sie an die Programme für Kinder, wenn man das richtig macht, könnte man sie mit einer ganz neuen Mentalität heranwachsen lassen.

Für die Ausstellung "Cittadellarte. Teilen und verändern„, die im Rahmen des Steirischen Herbstes eröffnet wurde, wurde im Kunsthaus Graz eine "Kunststadt„ aus Fichtenholz errichtet. Eine Markthalle findet sich darin ebenso wie eine Bibliothek, eine Fahrradwerkstadt oder eine an einen Wald erinnernde Installation. Im Zentrum der Stadt befindet sich Michelangelo Pistolettos "Love Difference Table„, ein Tisch mit Spiegeloberfläche, der als Ort des Dialogs und der Reflexion dienen soll. Das Projekt beschränkt sich jedoch nicht nur auf den "Space01„, sondern wird teilweise auch in die "äußere„ Stadt erweitert.

An der Schau sind neben Pistoletto Künstlerinnen und Künstler beteiligt, die bereits mit der Cittadellarte gearbeitet haben, sowie solche die ähnliche künstlerische Strategien verfolgen.

Weitere Infos: http:// www.museum-joanneum.at/de/kunsthaus



Eva Pakisch
wukonig.com