Falter - 19.09.2012

Talkin' 'bout a Revolution

150 Aktivisten und Künstler verraten beim steirischen herbst die Möglichkeiten von Kunst in der politischen Arbeit - sieben Tage nonstop



Reverend Billy treibt Bankomaten den Teufel aus, die Femen protestieren barbusig gegen Sextourismus und Ausbeutung. Der Serbe Sr›a Popoviæ half, Slobodan Milo˚eviæ zu stürzen, und lehrt seither friedliches Revoltieren in der Ukraine und in Nordafrika, die französischen Jeudi Noir besetzen Häuser gegen die Mietwucherei. Sie alle erörtern beim steirischen herbst das Verhältnis von Kunst und Politik und die Frage, welche künstlerischen Strategien sich für Aktivismus eignen. Das tun sie im Marathon-Camp "Truth is concrete„ in der Thalia eine Woche lang, Tag und Nacht. Die Überforderung ist also Teil des Programms. Der Falter hat zwei Gestalter des Camps und zwei politisch aktive Grazer gefragt, wie sie an das Camp herangehen und das Unbewältigbare bewältigen wollen.

Florian Malzacher:

"Einschlafen ist in Ordnung„

"Meine Strategie für das Camp ist leider ziemlich durch die Zwänge meiner Aufgaben als Kurator bestimmt - zum Beispiel weil wir abwechselnd moderieren werden. Dadurch ist ein Großteil meines Programms festgelegt. Ich werde also zumindest am Anfang versuchen, einen relativ normalen Rhythmus aufrechtzuerhalten: nachts schlafen und tags und abends arbeiten. Zum Schlafen werde ich vermutlich eher nach Hause fahren - auch um nicht in der Duschschlange zu stehen, wenn ich eigentlich schon wieder moderieren muss ∑

Versäumen werde ich zwangsläufig viel, was natürlich etwas frustrierend ist. Und für uns alle, die wir moderieren, wird es wohl so sein, dass wir vor allem bei jenen Leuten da sind, die wir schon kennen, während wir das, was für uns neu wäre, verpassen. Aber abgesehen davon finde ich Verpassen eigentlich ziemlich gut. Ich mag Festivals und Ausstellungen, die klar sagen, dass man nicht alles sehen kann.

Dieser 170-Stunden-Veranstaltungsmarathon ist eine Maschine, die rennt und rennt. Und drumherum ist das Camp, das seine eigene Zeit hat, wo man schlafen, reden, essen kann. Natürlich gab es im Vorfeld zum Marathon Diskussionen, bei denen es hieß: Ihr seid damit ja genau Teil des neoliberalen Prinzips der permanenten Überforderung. Vielleicht. Aber andererseits machen wir keinen 24-Stunden-Marathon, wie es ihn im Kunstkontext ab und zu gibt, den man schaffen könnte, wenn man es drauf anlegt. Dieser Marathon ist nicht konsumierbar. Und so ist es völlig in Ordnung, wenn man einmal während eines Vortrags einschläft - man sollte halt nicht schnarchen ∑ Das gilt zumindest für die, die nicht moderieren müssen. Wenn man etwas organisiert, ist es ja immer so, dass alle anderen es mehr genießen können als man selbst. Aber das ist ja auch so, wenn man Freunde nach Hause zum Essen einlädt.

Schlaf hin oder her: Einige Nachtschichten werde ich sicher nicht versäumen - zumindest gegen Ende. Es gibt etwa eine Nacht mit einem Schwerpunkt zur derzeitigen Situation in Russland, das ist glücklicher Weise am ∑ Mittwoch, na ja, Mittwoch kann ich dann hoffentlich anfangen, den Rhythmus zu brechen. Und überhaupt: Mal sehen, wie viel Schlaf man dann tatsächlich braucht.„

Jan Liesegang, Andrea Hofmann:

"Schwelle bewusst niedrig„

"Am meisten gespannt sind wir auf die Atmosphäre im Camp. Wir denken, dass das sehr locker wird, mit Vorträgen, Diskussionen, aber auch Spontanem. Dafür sind auch die Räumlichkeiten ausgelegt: dass überall alles ist, dass überall Aktivitäten stattfinden oder geschlafen wird. Wir sind gespannt, ob es eine räumlich-zeitliche Verdichtung gibt. Wir haben im Vorfeld sogar darüber nachgedacht, den Vorplatz permanent unter Flutlicht zu stellen, um so das Zeitgefühl aufzuheben. Das widersprach aber unserer Null-Energie-These. Wir wollen nicht Ressourcen durch die Gegend schleudern und versuchen ja auch, alle unsere Arbeiten, so gut es geht, aus Altmaterialien oder Fertigteilen zu machen.

An den Campräumen finden wir gut, dass sie, ähnlich wie unsere Möbel, in einem Zwischenzustand sind. Ursprünglich wollten wir das ganze Festival hindurch weiterbauen, da und dort ein Loch in die Wand machen. Als sich herausstellte, dass die Gebäude nach dem herbst gar nicht gänzlich umgebaut werden sollen, haben wir die Idee der Bauguerilla dann doch zurückgefahren.

Die Nähe des Camps zum Jakominiplatz ist super. Das ist der urbanste Ort, den man in Graz finden kann, ein Ort, wo low und high zusammenkommen, wo nicht alles so schick ist. Bei der Thalia finden wir die beiden Gasträume sehr schön. Das sind Räume aus den 1950er-Jahren, die schon die Sprache einer kreativen Moderne sprechen, mit wahnsinnig viel Glas und hochschiebbaren Fenstern. Direkt davor wollten wir zuerst mit einem Turm aus Kühlschränken ein Bild der Dringlichkeit erzeugen, das zeigt, dass es brenzlig wird. Leider war das nicht umsetzbar.

Die Verkleidung des ≠BloghausesŒ mit alten Fenstern wird sich stattdessen mit der Moderne auseinandersetzen und die Frage aufwerfen, ob Transparenz wirklich transparent ist. Und in den schwebenden Kubus der Thalia führt nun eine Treppe, die das Schwebende ein bisschen aufhebt, banalisiert, aber auch praktisch macht. Die Schwelle ist bewusst niedrig gehalten. Dass die Treppe bis zur Straße geht und jeder kommen kann, ist eine Geste. Ob dann tatsächlich der Mann von der Straße kommt, wird man sehen. Jedenfalls gibt es jetzt eine direkte Verbindung zwischen Terrasse und Gastraum. Das hat fast so was, wie in einen Flieger einzusteigen, das Gefühl zu haben, wir starten zu etwas ganz Neuem.„

Yvonne Seidler:

"Mitbestimmung liegt total brach„

"Künstlerische Praktiken spielen auch bei uns eine große Rolle. Voriges Jahr hatten wir beispielsweise einen Monat lang das Plakat mit dem Spruch ≠There Is No AlternativeŒ am Tummelplatz hängen, mit der Möglichkeit, Schuhe darauf zu werfen. Voves und Schützenhöfer sagen ja immer, dass es keine Alternative gebe - wir wollten daran erinnern, dass das schon Margaret Thatcher gesagt hat, dass es also nichts Neues ist, und das Schuhewerfen im Arabischen Frühling als Zeichen für Verachtung bekannt wurde. Kunst bietet die Möglichkeit, viele Botschaften gleichzeitig zu vermitteln und Dinge zu persiflieren. Enge im Kopf kann man mit Kunst am besten aufbohren. Diskutieren bringt oft nicht so viel, ich habe manchmal das Gefühl, dass sich in Diskussionen Standpunkte eher verhärten. Was man mit künstlerischem Protest wirklich konkret verändern kann, ist natürlich eine andere Frage, die sich auch durch das herbst-Camp zieht.

Ansehen möchte ich mir ≠Everyday RebellionŒ, dort soll eine App für Smartphones entwickelt werden, um zivilen Widerstand zu koordinieren. Und Games, um Schülerinnen und Schüler mit den Möglichkeiten friedlichen Protests bekanntzumachen. Jugendliche sind ja überhaupt nicht geübt darin, selbstbestimmt eigene Rechte einzufordern. Politische Mitbestimmung liegt bei uns total brach, die Österreicherinnen und Österreicher sind einfach kein widerständiges Volk. Ebenso wichtig finde ich, über eine Weiterentwicklung unseres demokratischen Systems nachzudenken wie bei ≠Absolute DemocracyŒ: Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, damit man überhaupt von Demokratie sprechen kann?

Auch lustig finde ich das ≠korrupte ReisebüroŒ, das zu Stätten der Korruption führt. Wir haben heuer einen Stadtspaziergang mit Franz-Hermann (lebensgroßes Sparschwein aus Pappmaché, benannt nach Voves und Schützenhöfer, Anm.) zu Gewinnern und Verlierern der Krise gemacht. Ein Korruptionsspaziergang wäre auch für uns etwas Schönes. Und schließlich möchte ich hören, wie die Femen sich selbst erklären (ukrainische Feministinnen, die mit entblößtem Oberkörper gegen Sextourismus und Ausbeutung protestieren, Anm.). Für mich ist diese Form des Protests höchst ambivalent - es stellt sich die Frage, ob sie nicht Sexismus bedient, statt ihn zu bekämpfen, gleichzeitig ist sie aber sehr wirkungsvoll. Ich glaube kaum, dass wir diese Form des Widerstands in der Plattform durchbringen würden - aber vielleicht muss man manchmal solche Vorschläge bringen, damit man wieder auf ganz andere Ideen kommt.„

Robert Reithofer:

"Kunst sollte nicht notwendig sein„

"Sehr beeindruckend finde ich Antanas Mockus, den ehemaligen Bürgermeister von Bogotá, wo die Zahl der Verkehrstoten und Morde extrem hoch war. Mockus setzte künstlerische Praktiken ein, um den Verkehr zu regeln und Gewalt zurückzudrängen. Ein Beispiel dafür, dass Kunst nicht irrelevant und zynisch sein muss, was sie ja manchmal sehr wohl ist. Auch anhören werde ich mir ≠Graz in Times of RevolutionŒ vom Historiker Leo Kühberger. Mit Slavoj ⁄iıek muss ja konstatiert werden, dass die notwendige Neuerfindung der Politik gerade nicht in der Kunst des Möglichen, sondern des Unmöglichen besteht. Nur eine Revolution verdient es also, als Politik bezeichnet zu werden. Gerade in Graz sehen wir aber die völlige Implosion von Politik - wenn die FPÖ, die die schlechtesten Eigenschaften aus den Menschen herauskitzelt, mit KPÖ, ÖVP, SPÖ und Grünen gemeinsam in einer Regierung sitzt, ist dies das Ende von Politik. Ich bin dafür, dass der steirische herbst ins Rathaus verlegt wird und alle Politiker gewisse Basisbildungsmodule absolvieren müssten, vor allem über Menschenrechte, um künftig bei Wahlen antreten zu dürfen. Übrigens stellt sich angesichts der Tatsache, dass eine Verallgemeinerung unseres privilegierten Lebensstils zu unser aller Auslöschung führen würde, die Frage, ob es nicht wahrhaft revolutionär wäre, sehr konservativ zu sein. Gegen das Fortschrittsparadigma, gegen technokratische Innovation, gegen ein Wirtschaftswachstum, das die Gier nach Überflüssigem fördert, um unser Leben zu bewahren.

Was die künstlerische Arbeit mit benachteiligten Menschen angeht, so habe ich hin und wieder das Gefühl, dass da Menschen mit wirklich existenziellen Bedürfnissen missbraucht werden, zum Beispiel durch Festivals. Motto: Gebt‚s her eure Asylwerber, wir machen ein klasses Projekt mit ihnen, am Ende können wir ein Produkt herzeigen - so werden die Menschen Mittel zum Zweck. Wirklich spannend finde ich dagegen, wenn der kreative Prozess und die Kommunikation das Wesentliche sind und es irrelevant ist, ob am Ende ein Kunstwerk dasteht oder nicht. Überhaupt sollten wir an einer Gesellschaft arbeiten, die Kunst als etwas Eigenes gar nicht mehr notwendig hat, weil die Menschen ohnehin kreativ leben und einen nichtausbeuterischen Umgang miteinander erlernt haben.„ F

Das 7-Tage/24-Stunden-Marathon-Camp

170 Stunden lang fährt das Camp "Truth is concrete„ durchgehend Programm. Austragungsorte: die vom Berliner Architekturkollektiv Raumlaborberlin eigens umgebaute Thalia und das gleich daneben liegende Palais (Opernring 5-7) bilden das Festivalzentrum. Auch im Spiel: die Galerie Zimmermann Kratochwill

Der Eintritt ist frei

Start:

Freitag, 21.9., 14 Uhr

www.truthisconcrete.org

Bild: Robert Reithofer, kulturaffiner Geschäftsführer der Sozial- und Bildungsorganisation ISOP

Bild: Yvonne Seidler, Plattform 25 und Leiterin der NGO Hazissa, brachte mehr als 10.000 Menschen gegen das Sparpaket auf die Straße

Bild: "Kunst ist ein linkes Hobby„, sagt der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders - ob dem so ist, auch darüber wird auf dem Camp gestritten

Bild: Florian Malzacher, Chefdramaturg und Kurator dessteirischen herbst, ab 2013 künstlerischer Leiter der Theaterbiennale Impulse

Bild: Andrea Hofmann und Jan Liesegang, Raumlaborberlin, haben das Camp samt einem Turm aus alten Fenstern gebaut



PROTOKOLLE: HERMANN GÖTZ GERLINDE PÖLSLER ULRICH TRAGATSCHNIG
wukonig.com