Der Standard - 03.10.2012

Der Duft von Holz und Innovation



Die Gruppenausstellung ≥Cittadellarte„ ist eine kleine Version von Michelangelo Pistolettos Kunststadt im Grazer Kunsthaus. Künstler aus aller Welt schaffen hier Nachhaltiges für Gesellschaft und Umwelt.

Graz - Die Aktivisten waren aus dem Marathon-Camp Truth is concrete in der Thalia kaum ausgezogen, da startete am Freitag das nächste ungewöhnliche Projekt des Festivals Steirischer Herbst. Eine Ausstellung, die eigentlich (noch) gar keine ist. Wie schon im Camp geht es auch in der Gruppenausstellung Cittadellarte. Teilen und verändern, deren Duft von frischem Holz die blaue Blase des Kunsthauses füllt, um die Rolle der Kunst in Gesellschaft und Umwelt.

Namens- und Ideenstifter für das von Katrin Bucher Trantow und Juan Estaban Sandoval kuratierte Projekt ist die ≥Kunststadt„ Cittadellarte von Michelangelo Pistoletto in seiner Heimatstadt Biella im Piemont. Wie der Standard berichtete, ist eine umfassende Ausstellung über das Frühwerk des Pioniers der sogenannten Arte povera noch bis 14. 10. in der Neuen Galerie im Joanneumsviertel zu sehen.

In der Cittadellarte versammelt der 79-jährige Pistoletto seit 1998 verschiedensten künstlerische, im weitesten Sinn kreative, sozialökonomische und naturwissenschaftliche Disziplinen.

Geografisch ist die ≥Città„ in Biella ein nach und nach vom Künstler aufgekauftes Fabriksareal, wo Studierende aus aller Welt mit Stipendien forschen und schaffen können. Wie sich der Standard bei einem Besuch überzeugen konnte, tun die jungen Menschen dies unter besten Voraussetzungen in riesigen ehemaligen Fabrikshallen, deren Errichtung teilweise bis auf das Jahr 1870 zurückgeht und die liebevoll restauriert wurden. Auch das erste Architekturbüro Italiens, das ausschließlich mit natürlichen Materialien arbeitet, ist dort untergebracht.

Der Boden für Innovationen ist in Biella ein fruchtbarer. Früher wurden in der ehemaligen Industriestadt Textilien produziert, die Arbeiterinnen der Fabriken waren ihren Kolleginnen in Italien in Sachen Bildung und Emanzipation um Jahrzehnte voraus - und die Stadt war traditionell links. Hunderte Partisanen fielen im Kampf gegen die Faschisten in den Bergen rund um das Fabriksgelände. Biella war einen Tag vor Restitalien eine befreite Stadt.

≥Mit all dem Geld, das Pistoletto mit seiner Kunst verdient hat, könnte er jetzt in einer Villa am Meer sitzen und Mojitos schlürfen„, sagt ein Mitarbeiter der Cittadellarte in Biella, ≥doch er hat es lieber in eine bessere Welt investiert„. So ist Pistoletto selbst das beste Beispiel für Nachhaltigkeit in der Kunst, die er propagiert.

Doch zurück nach Graz: Hier bildet eine stilisierte Stadt aus Holz der teilnehmenden Gruppe Constructlab im Space 01 des Kunsthauses den Rahmen für die Zusammenarbeit von Künstlern und Gruppen. Etwa für die südafrikanische Plattform Chimurenga, die sich für Menschenrechte und eine Politik der Würde einsetzt und lokal mit der Grazer Straßenzeitung Megaphon zusammenarbeiten wird. Oder für die oder die Bibliothek und das Kino der Künstlerinnen von Visible, die - wie das Projekt Evento - direkt aus der Cittadellarte kommen.

Love Difference Table

Der Love Difference Table ist das Zentrum der Cittadellarte in Graz. Der Tisch ist eine Arbeit von Pistoletto selbst, er wird Treffpunkt aller Teilnehmer sein, die immer wieder ausstreunen und in der Stadt mit verschiedenen lokalen Initiativen kooperieren.

Dabei ist auch die Bevölkerung aufgerufen, sich einzubringen: etwa in der Fahrradzubehör- und -tauschbörse mit dem sozialökonomischen Betrieb Heidenspass, wo Besucher Ersatzteile oder ganze Fahrräder, die sie nicht mehr brauchen, hinbringen und gegen andere tauschen können. Auch bei den Projekten ≥Nachhaltige Bücher„ oder ≥Süßes im Kopf„, wo man Bücher, die einen nachhaltig prägten, oder Rezepte mit anderen teilen kann. Bis 20. 1.

Bild: Michelangelo Pistoletto in der kleinen Holz-Città in Graz, die noch relativ leer ist. Foto: Lackner/Joanneum



Colette M. Schmidt
wukonig.com