Der Standard - 29.09.2012

Tu felix Austria oder Die Russen, die Kunst und wir



Warum man manchmal - und trotz allem - auch ein wenig stolz sein darf, in diesem vielgescholtenen Land zu leben: Kleine Ö-Hommage unter dem Eindruck des ≥Viennafair„-Symposions und des Camp-Marathons ≥Die Wahrheit ist konkret„ beim Steirischen Herbst.

Zwei Manager und zwei Künstler kommen in einem Aufzug zu stehen. Die Manager reden über Kunst, die Künstler vom Geld ...

Den Zeitungen war zu entnehmen, dass die Vienna Art Fair nun russisches Terrain ist, umfangen, umschmeichelt von all jenen die vorwiegend an $ denken, wenn es um Kunst geht. Das die Messe umrankende Symposium drehte sich um dasselbe, das eine Thema, sprich Collecting, Investment, Corporate. Russische Galerien präsentierten ebensolche Künstler, geschickt schloss sich die eine oder andere österreichische Galerie an, ließ ihre Beziehungen zum wieder erstarkten Zarenreich spielen und mischte in ihr Angebot Mittelmäßiges von der Krim und darüber hinaus. Ihre Mühen wurden von den aus Moskau angereisten Sammlern unumwunden belohnt: Russen kauften Russen - in Wien; man fragt sich, wozu sie die Reise hierher antreten mussten, wahrscheinlich haben manche einen Wohnsitz im ersten Bezirk.

Bei einem exklusiven Essen im Dorotheum war die geballte Ladung von Oligarchen präsent. Überraschend die Qualität der Gespräche, denn man erntete bei den ≥nouveaux riches„ und ihren Beratern, allesamt mit Firmensitzen in New York, selbst mit Provokationen in Bezug auf den Mammon, besonnene Antworten, die intelligent das Verstehen um den Mehrwert der Kunst für die Gesellschaft zum Ausdruck brachten. So formuliert, dass sie nicht als Lippenbekenntnisse zu entlarven waren. Ein ungarischer Theoretiker, der von Big Apple aus agiert, meinte die Conclusio des Symposions sei, dass der Markt die Künstler oftmals erdrücke. Kein Mensch vermag andauernd zu produzieren. Wenn man atemlos kreieren müsse, könne man wenig Essenzielles schaffen, denn es bleibt keine Zeit zum erleben. Nun, es hätte keines Symposiums gebraucht, um diese Erkenntnis zu erlangen und doch war überraschend, dass die vermeintlichen Geldleute zu verstehen schienen, dass die Kunst nach anderen Prinzipien funktionier, als viele andere Bereiche der Gesellschaft. In der Folge gipfelte die Diskussion in einer Auseinandersetzung um die dramatische politische Situation und Russland...

Schnitt. ≥Die Wahrheit ist konkret„ stand über Bertold Brechts Schreibtisch im dänischen Exil, ein Zitat von Lenin, der Hegel zitierte, welcher Augustin zitierte. Und das stand auch über dem Haus am Opernring in Graz, das gefüllt war mit jungen Menschen aller Farben, die emsig in ihre Macs tippten, fotografierten, filmten und diskutierten. ≥Es war eine lange Nacht, ich bin geschafft„ hörte ich als erste Worte, als ich den Raum betreten hatte. Gemeint war eine vom Steirischen Herbst ins Leben gerufene einwöchige Auseinandersetzung aller relevanter Widerstandsbewegungen der Gegenwart (täglich von 0:00 bis 24.00 Uhr).

Und da waren sie wieder, die Russen, diesmal die Leute um Pussy Riot, und unweit von diesen fanden sich die Ukrainer, von Femen vertreten, denen ich in ihrem Vortrag zum ersten Mal abnahm, dass das Herzeigen ihrer Oberweiten als feministischer Akt zu verstehen ist. Ein Künstler aus Manila, der in Rhodes Island studiert hatte, hielt eine Show auf der Bühne ab, die er sonst amerikanischen Touristen in Manila zukommen lässt - in der er mit beißenden Worten die traurige Kolonialgeschichte seines Landes ausbreitete. Eine Politiker aus Südamerika, der sich künstlerischer Praktiken bedient, antinuklear Aktivisten aus Indien, Palästinenser, Israelis, Libanesen und Senegalesen präsentierten Projekte, die die Kunst auf die Straße bringen, Basisarbeit leisten. Dort, wo sie wirklich gebraucht wird. Kurz, ein Sammelsurium aus Menschen, die brennende Anliegen haben, sich nicht irreführen lassen wollen, die opponieren, Staatsmacht und Kapital lautstark die Stirn bieten. Ein Sternenmeer aus Hoffnung, oft naiv, dogmatisch, dann wieder intellektuell gefinkelt, aber immer zum Gespräch bereit. In der angeschlossenen Ausstellung des Herbstfestivals war das Video einer Araberin zu sehen, in dem eine erwachsene Schulklasse verschleierter Frauen surreale postkoloniale Texte verlas, Tür an Tür mit dem Film einer israelischen Künstlerin, die professoral ihre Studierenden in die Enge trieb, sie herausforderte, ihnen an die Wäsche ging. Viele der anwesenden Künstler waren wegen ihres Widerstands gegen die Staatsmacht bereits in Haft.

Fast 70 Jahre nach Kriegsende sind all diese Menschen Gast in dieser Republik, in diesem nussschalen großen Land, das in der Politik nicht weniger Korruption kennt als andere und doch eine Vielfalt des Andersdenkens zulässt, die nicht selbstverständlich ist: ungehinderter Pluralismus, der Demokratie ausmacht, repräsentiert von Menschen aus aller Welt. Ein Widerspruch zum oft bemühten Bild des verschlagenen, xenophoben Homo austriacus. Nein, nichts wird beschönigt, nichts ist im Reinen und doch ist anzuerkennen, dass all das gedacht und gesagt werden darf. Das ist nicht in vielen Ländern der Welt so. ≥Gott„ oder die Wähler gäbe(n), dass es so bleibt und dass jene, die hart daran arbeiten, das Gut der Meinungsfreiheit und des grenzenlosen Gedankenverkehrs, zu zerstören, nie und nimmer Oberwasser erhalten.

Bild: ... und Grenzüberschreitendes aus Österreich (≥Via dolorosa„ von Deborah Sengl) bei der ≥Oligarchen-Messe„ in Wien Fotos: Femen, Viennafair

Bild: Posteuphorisches aus Rumänien (≥Over„ von Vlad Nanca) ...

Bild: Feminismus aus der Ukraine beim ≥Herbst„ in Graz (Gruppe ≥Femen„),

Bild: Edgar Honetschläger: ≥Nicht ist im Reinen, nichts wird beschönigt, und doch ...

Bild: Foto: privat



Edgar Honetschläger
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