Der Standard - 29.09.2012

She Guevara und Che Guevara gegen Goliath



Das Brut-Theater kämpft für eine zeitgenössische Auseinandersetzung mit der Redefreiheit. In dem Themenschwerpunkt ≥Freedom of Speech„ knöpfen sich Austro-Mex, Angela Richter u. a. die Realität der zeitgenössischen Medienstrukturen vor.

Wien - Dass die Freiheit von Presse, Rede, Kunst und Meinung immer wieder auf dem Spiel steht, ist ein unvermindert heißes, globales Thema. Diesem nähert sich das Brut-Theater in seinem Schwerpunkt ≥Freedom of Speech„ aus künstlerischer Perspektive an.

Nach einem Auftakt mit dem Stück Hate Radio unter der Regie von Milo Rau in der Vorwoche wird die Auseinandersetzung nun bis zum 22. Oktober mit vier weiteren Arbeiten fortgesetzt: Melodrom / The Making of a Rebellious Telenovela des Kollektivs Austro-Mex, Angela Richters Assassinate Assange und Book Burning von Pieter De Buysser und Hans Op de Beek (siehe unten) sowie Data Dealer. Legal, illegal, scheißegal der Data Dealer Inc.

Die Arbeit von Austro-Mex um die österreichische Künstlerin und Aktivistin Gin Müller hat bereits vor zwei Jahren mit Who shot the Princess? Boxstop Telenovelas begonnen, wurde 2011 mit einem Symposium fortgesetzt und findet nun als Melodrom zu einem ≥Making of„. Mit dabei sind neben Müller auch die ≥Princess„-Protagonistin Flor Edwarda Gurrola, die Performancekünstlerin Katia Tirado und der Aktivist Chris Thaler, weiters unter anderen Nils Olger, Jan Machacek, Sabine Marte und Katarína Csányiová.

Die Künstlerinnen und Künstler zapfen, wie bei Who shot the Princess? zu erleben war, reichlich Politikblut aus dem TV-Format der Telenovela. Bei Melodrom geht es ≥um den Produktionsprozess einer rebellischen Telenovela„. Dabei wird zum Beispiel gegen einen Producer gekämpft, nach Rebellenautobiografien gegriffen und Queerness praktiziert. Aus kommunistischen Vergangenheiten wächst im Verlauf der Handlung ein mysteriöser Mythos von ≥She Guevara„.

Als ≥Che Guevara aus dem Cyberspace„ gilt vielen der Wikileaks-Gründer Julian Assange. Er befindet sich seit Wochen in der Londoner Botschaft von Ecuador. Juristisch vertreten wird Assange von Pinochet-Ankläger Baltasar Garzón. Großbritannien nahm den chilenischen Diktator 1998 in Schutz und verhinderte seine Auslieferung. Mit der Auslieferung von Assange würden sich die Briten leichter tun, wäre da nicht der ecuadorianische Präsident Rafael Correa, der dem Netzaktivisten Asyl gewährt hat.

Die deutsche Regisseurin Angela Richter hat mit Julian Assange, der das Botschaftsgebäude zur Zeit nicht verlassen kann, für ihr Stück Assassinate Assange mehrere Interviews geführt. Richter beschäftigt sich seit Jahren mit Hacktivismus, also mit Proteststrategien im Cyberspace. Sie wolle mit ihrer Arbeit nicht Propanganda für Assange machen, sagt Richter im Interview mit der FAZ am Sonntag, aber: ≥Mich erinnert er ein wenig an Kassandra.„ Er habe sich nicht gemäß den Erwartungen jener verhalten, die ihn erst auf ein Podest gehoben hätten, und werde nun dafür bestraft.

Bestraft wurde auch Richter - von ihrem FAZ-Interviewer mit der Frage: ≥Finden Sie ihn attraktiv?„ Ob dies wohl bei einem männlichen Regisseur ebenso aufs Tapet gekommen wäre? Wie das genderdiskursive Kollektiv Austro-Mex greift auch Richter auf gravierende Verwerfungen in der globalen Kommunikation zu. Austro-Mex ≥verkleinert„ das spektakuläre Aufmerksamkeitsgeschäft der Telenovela-Industrie, um in dem Format eine gesellschaftskritische Basis zu finden. Richter greift auf eine rebellische Tat zu und verkleinert sie durch ihre Konzentration auf den Protagonisten Assange. Hier findet sie sich in Dynamiken der Aufmerksamkeit wieder, die sich um ein Sujet von biblischen Ausmaßen gebildet hat: David gegen Goliath.

Seit Verschleierung und Korruption mit der Etablierung oder dem Erhalt von Machtkonstellationen in bisher ungekanntem Ausmaß einhergehen, wird künstlerisches und mediales ≥Leaking„ zur gefürchteten David-Schleuder: Gerade wurde beim Steirischen Herbst auch die Plattform art-leaks.org vorgestellt, die sich mit dunklen Stellen im Kunstbusiness beschäftigt. Insgesamt wird deutlich, wie sehr publizistische und künstlerische Freiheit miteinander verbunden sind.

>> ≥Melodrom„, 5./6., und 8.-11. 10., Brut im Künstlerhaus, 20.00

>> ≥Assassinate Assange„, 19.-22. 10., Brut im Künstlerhaus, 20.00

Bild: Die deutsche Regisseurin Angela Richter hat Julian Assange in den letzten Monaten mehrmals getroffen und aus den Gesprächen ein Theaterstück über Redefreiheit gemacht. Foto: Angela Richter

Bild: Flor Edwarda Gurrola spielt in einer rebellischen Telenovela den Part des Che. Foto: Austro-Mex


Helmut Ploebst
wukonig.com